Jubiläum der Beratungsstelle: „Ein Fels in der Brandung für Familien“
Zwei für Familien: Ursula Blass (r.) ist die Leiterin der Beratungsstelle Monheim und Langenfeld – daneben ihre Stellvertreterin Leonie Berneburg. …
10. April 2024
Iris Welter ist Psychologin und arbeitet in der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Langenfeld und Monheim. Foto: Matzerath, Ralph (rm-)
Langenfeld/Monheim · Am 10. April ist der „Tag der Geschwister“. Diplom-Psychologin Iris Welter von der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Langenfeld und Monheim berichtet von vielschichtigen Beziehungen der Geschwistern untereinander und zu den Eltern.
Der originale Artikel ist von Sandra Grünwald geschrieben und am 08.04.2023 in der Rheinischen Post, bzw. am 07.04. bei RP-online erschienen.
Er ist online einsehbar unter https://rp-online.de/nrw/staedte/langenfeld/tag-der-geschwister-in-langenfeld-und-monheim-exklusivzeit-mit-den-eltern-ist-wichtig_aid-109305755
Man hört ja oft, dass es besser ist, wenn Kinder mit Geschwistern aufwachsen. Stimmt das?
Welter Es gibt da tatsächlich eine Studie der Uni Leipzig von 2022. Dabei wurden 373 Mutter-Kind-Paare untersucht und Langzeitdaten von der Schwangerschaft bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes erfasst. Es gab Fragebögen, und die Mütter sollten einschätzen, ob ihre Kinder bei mütterlichem Stress Verhaltensstörungen aufwiesen. Dabei stellte sich heraus, dass Geschwisterkinder weniger Verhaltensstörungen aufwiesen. Die größeren Geschwister halfen den kleineren durch diese Stresssituationen hindurch.
Heißt das, dass sich Geschwister gegenseitig unterstützen?
Welter Die größeren Kinder helfen, wenn es Stress mit den Eltern gibt. Bei Einzelkindern ist das nicht der Fall. Da ist kein Schicksalspartner da. Sie müssen mit der Situation der gestressten Mutter allein fertig werden.
Wie sieht es mit den Sozialkompetenzen aus? Sind da Geschwister nicht auch im Vorteil?
Welter Das kann man so nicht sagen. Einzelkinder entwickeln die Sozialkompetenzen genauso wie Geschwisterkinder. Vielen Eltern mit nur einem Kind ist es bewusst, dass sie es frühzeitig mit anderen zusammenbringen müssen. Das fängt bei den Krabbelgruppen schon an.
Einzelkinder wachsen also nicht isoliert auf. Gibt es trotzdem einen Unterschied zu Geschwistern?
Welter Nun ja, anderen Kindern kann man aus dem Weg gehen. Wenn es einen Konflikt mit einem anderen Kindergartenkind gibt, spiele ich nicht mehr mit ihm. So einfach geht es mit Geschwistern nicht. Da ist die Notwendigkeit, eine Lösung für den Konflikt zu finden, stärker. Entweder ich vertrage mich mit meiner Schwester oder meinem Bruder oder ich muss mich alleine langweilen.
Welche Rolle spielen Eltern bei diesen Konflikten zwischen Geschwistern?
Welter Wichtig ist, dass die Eltern nicht Partei ergreifen für ein Kind, sondern nach Lösungen suchen. Jedes Kind muss sich gesehen und gehört fühlen. Und wenn ein Kind noch zu klein ist, müssen die Eltern für das Kind sprechen.
Das Kind sollte also mit all seinen Gefühlen ernst genommen werden. Mit allen?
Welter Ja, das Kind darf auch wütend sein, es darf sich über die Schwester oder den Bruder ärgern. Es darf auch wütend sein, wenn es ein Geschwisterchen bekommt. Das Kind hat Verlustängste, die starke Angst, es verliert einen Elternteil oder sogar beide Eltern.
Was können Eltern gegen diese Ängste tun?
Welter Es ist ganz wichtig, dass jedes Kind Exklusivzeit mit jedem Elternteil verbringt. Mit der Mutter, aber auch mit dem Vater. Abwechselnd. Die Kinder brauchen beide.
Das ist sicher im alltäglichen Familienleben nicht immer einfach.
Welter Ja. Manchmal wird der Vater rausgehalten, weil die Beziehung des Kindes zur Mutter besser ist. Das liegt daran, dass die Mutter immer noch öfter verfügbar ist, als der Vater. Der Vater zieht sich zurück, weil immer die Mutter angefragt wird.
Was raten Sie diesen Vätern?
Welter Dranbleiben. Bindung braucht Zeit, wenn sie entstehen soll. Es ist wichtig, Zeit miteinander zu verbringen.
Was brauchen Geschwister noch?
Welter Neben der Exklusivzeit mit den Eltern, sollte jedes Kind persönliches Eigentum haben, das es nicht teilen muss und über das es allein verfügen darf. Ein Stofftier zum Beispiel. Und einen eigenen Raum. Es reicht da, wenn er durch einen Paravent abgetrennt ist.
Was sollten Eltern auf keinen Fall tun?
Welter Kinder miteinander vergleichen. Jedes Kind sollte individuell gesehen und angesprochen werden. Auch Rollen sollten nicht zugeschrieben werden. Jedes Kind sucht sich Nischen und versucht, darüber Aufmerksamkeit zu bekommen. Es schränkt die Kinder ein, wenn sie auf eine Rolle festgelegt werden.
Und wie sieht es bei Patchwork-Familien aus?
Welter Das ist eine Herausforderung für alle. Die Stiefgeschwister werden oft als Leidensgenossen empfunden, die ebenfalls um den Verlust eines Elternteils trauern. Stiefgeschwister und Halbgeschwister können tiefe Bindungen untereinander aufbauen. Die Exklusivzeit der leiblichen Eltern mit dem Kind ist besonders wichtig, damit sie wissen, dass sie ihre Eltern nicht verlieren oder dass sie nicht ersetzt werden.